11 November 2011 bis 27 Februar 2012

"Von schönsten Wesen wünschen wir Vermehrung" - Wolfgang Groh, München

Paradiesvögel

Ausstellungsdauer 13.11.2011 bis 26.02.2011

Der Paradiesvogel wurde früher auch als Luftvogel bezeichnet, da selbst in wissenschaftlichen Abhandlungen und wider besseren Wissens die Vorstellung verbreitet war, er habe keine Füße, fliege in großen Höhen und ernähre sich ausschließlich von Tautropfen. Dieser Glaube hatte seinen Grund in den Konservierungsmethoden der Jäger. Diese ließen die abgezogene Haut der Paradiesvögel so sehr wie möglich schrumpfen, wodurch die Prachtfedern noch besser zu Geltung kamen und schnitten zusätzlich die für Schmuckzwecke unergiebigen Teile wie Füße und Flügel ab. In dieser reduzierten Form gelangten die ersten Paradiesvogelbälge nach Europa.

In den Kunst- und Wunderkammern des 16. und 17. Jahrhunderts gehörten Paradiesvogelbälge zum unverzichtbaren Inventar. In diesen Sammlungen waren Kunst und Naturwissenschaften noch ununterscheidbar. Erst in den folgenden Jahrhunderten haben sich die Disziplinen Kunst und Wissenschaft aus der gemeinsamen Wurzel der Wunderkammer heraus auseinander differenziert. Naturgegenstände hatten damit in der Kunst nichts mehr zu suchen, was zählte war ihre Darstellung im Kunstwerk. In der Wissenschaft war das anders. Ihr dienten die Naturgegenstände als Forschungs- und Schauobjekte. Aber im Ergebnis entstand auch hier ein Kunstprodukt: Die Natur als Kunstprodukt der Wissenschaftler. Dies wird am Beispiel Paradiesvogel sichtbar, an den unhaltbaren Theorien, an den erfundenen Spezies und kuriosen Abbildungen.

Wolfgang Groh zeigt aber keine wissenschaftlichen Präparate, keine dermoplastischen Nachahmungen der Natur. Das Material ist Hutschmuck. Als Hutschmuck hat der Paradiesvogel um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert die Modewelt entzückt und bestimmt. Er war Inbegriff des exotischen Naturschönen und Mittel zur Repräsentation und sozialen Abgrenzung. Diese gesellschaftliche und damit auch ökonomische Verwertbarkeit als Konsumgut brachte ihn an den Rand der Ausrottung. Durch die  Entnahme aus der  Natur und seine Transformation in die Künstlichkeit des Hutschmucks visualisiert der Paradiesvogel das Verhältnis von Schönheit und Tod eindringlich.
Dieses Verhältnis ist vielfältig, denn was beim Vogel möglich war und ist,  den Körper der Vergänglichkeit zu entziehen und zu erhalten,  ist beim Menschen nicht gewollt. So verweisen die Vögel als Hutschmuck im Sinne eines Vanitasmotivs stellvertretend auf die Vergänglichkeit alles Irdischen. Der Hutschmuck spiegelt  die Absenz der Trägerinnen, die dadurch in ihrer Abwesenheit gleichzeitig präsent sind und er verbindet das wunderbare Paradoxon der abwesenden Anwesenheit obendrein mit sinnlichem Genuss.
 
Die Arbeiten von Wolfgang Groh thematisieren noch etwas Weiteres. Das von den Modisten teilweise benutze Verfahren, verschiedene Federpartien von Vögeln unterschiedlicher Arten und sogar Gattungen zu kombinieren, führte zu Vogelkreationen, die als „komponierte Hybride“ mehr als nur Schmuckform sind. In ihnen spiegelt sich die Sehnsucht nach einer idealen Natur!

Aus den  verwobenen Bereichen von Wissenschaft und Kunst, von Naturobjekten und Modeästhetik, von Historie und Fiktion resultieren die Arbeiten. Die nostalgisch anmutende Ästhetik und der Bezug auf eine Wissenschaftlichkeit aus früheren Tagen ist dabei die Form der künstlerischen Aktualisierung.  Die Paradiesvogelbälge sind das Gegenteil der immer unanschaulicheren und abstrakteren Welterklärungsmodelle. Durch ihre sinnliche Präsenz verweisen sie als Bilder auf den existentiellen, anthropologisch konstanten Prozess der Erforschung, Eroberung und Umformung von Natur. Die Bedürfnisse des Menschen sind dabei das Maß aller Dinge!
(Pia Klapper)





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