20 September 2013 19:30 bis 21:00 Uhr

"Löcher - Ein Phänomen zwischen Golf und Gefängnis", Vortrag Prof. Dr. Volker Fischer, Frankfurt am Main

Ein umfassender und facettenreicher Einblick in das Thema "Loch" anhand von Beispielen im Alltag, in Kunst und Design.

Beginn 19:30 Uhr, Eintritt : eine Spende für die Finanzlöcher des Luftmuseums.

Volker Fischer ist ein deutscher Design- und Architekturkritiker. Seit über 20 Jahren lehrt er an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main. Von 1993 bis 2012 war er Chefkurator des Museums für angewandte Kunst in Frankfurt am Main. Von 1980 bis 1993 war er Vizedirektor der Deutschen Architekturmuseums (DAM) in Frankfurt am Main.

 

Volker Fischer 1.7. 2013
Ausstellung „Das LOCH“ im Luftmuseum Amberg 2013

Das LOCH

Meine Damen und Herren,
die folgenden Überlegungen sind aus Anlass der Ausstellung über Löcher im LUFTMUSEUM Amberg entstanden, die dort vom Juni bis zum September 2013 stattgefunden hat. Einige der Ausstellungskuratorinnen firmieren in und für dieses Museum permanent als sogenannte Luftlehrerinnen und haben auch diese Löcher- Ausstellung mit kuratiert und mit eigenen Loch-Projekten konturiert. So werde ich mich im folgenden auch auf manche dieser Projekte beziehen.

(1)Lassen Sie mich diesen Vortrag mit dem Hinweis auf eine Körperöffnung beginnen, die Gustave Courbet gemalt hat und die über ein halbes Jahrhundert lang ein Skandalon war. Dieses Bild l´Origine du Monde (Der Ursprung der Welt) war in kunsthistorischen Kreisen zwar als Gerücht präsent, aber gesehen hatte es kaum einer. Heute, im Zeitalter elektronisch vermittelter Hard core- Pornographie, die Halbwüchsige via Handy auf dem Schulhof austauschen, wirkt eine solche Tabu-isierung schon fast nostalgisch. Beauftragt hatte das Bild der türkische Diplomat Halil Serif Pascha. Courbet malte es 1866 und es wurde nur ausgewählten Freunden hinter einem Vorhang unter dem Siegel der Verschwiegenheit gezeigt. Das Bild war später lange Jahre im Besitz eines berühmten französischen Philosophen und gelangte dann 1995 in den Bestand des Pariser Museums D´Orsay, wo es heute öffentlich ausgestellt ist. Vor kurzem hat nun ein kunsthistorischer Laie für 1400 Euro in einem Trödelladen in Paris einen alten Schinken erstanden, der laut dem französischen Magazin Paris Match als bisher unbekannte Ergänzung des L´Origine- Bildes eingeschätzt wird. Der Wert wird mit 40 Millionen Euro angegeben. Laut Expertise wurden bei beiden Bildern dieselben Farben verwendet und auch die Leinwände sind identisch.
Ich habe dieses Bild und diese Zuschreibungsdebatte nicht ohne Grund an den Anfang meiner Überlegungen über das Phänomen des Loches gestellt, denn natürlich sind alle Körperöffnungen die ursprünglichsten Öffnungen.
Auch die Öffnungen der Haut, die Poren nämlich, gehören in diesen Kontext. Die Poren sind ein durchaus lohnendes Betätigungsfeld für fluide Lotionen, wie uns die Kosmetikwerbung beständig zuflüstert.
(2)Alle unsere Wahrnehmungsorgane sind Körperöffnungen, also Körperlöcher. Wir schmecken mit dem Mund, hören mit den Ohren, riechen mit der Nase, wir sehen mit den Augen. Nahrungsaufnahme, Nahrungsausscheidungen, Fortpflanzen, Atmen: alle primären Lebensvorgänge geschehen über Körperöffnungen. Ohne dieses Körperlöcher wären wir alle universelle Autisten. Aber alle diese Öffnungen sind mit empfindlichen Schleimhäuten ausgekleidet und so werden sie künstlich geschützt:mit Sonnenbrillen, Ohrenklappen, Nasenpfropfen, mit Mundschutz oder auch Gasmasken, mit Präservativen und Inkontinenzunterwäsche. Und alle Körperöffnungen sind mit Sekreten verbunden, mit Speichel, Tränen, Ohrenschmalz und weiteren Flüssigkeiten. So partizipieren alle Körperöffnungen am Bedeutungskontext des Fluiden, des Flüssigen, des Sich- Verströmens. Darin wiederum ist der Mythos des Wasser aufgehoben, als ursprünglichster Lebenskontext überhaupt. Damit erklärt sich auch die erotische Kodierung der Körperöffnungen: man kann jemanden gut riechen, ihm ins Ohr flüstern, ihn oder sie küssen, man kann aus Zuneigung oder Mitgefühl weinen. Weil aber solcherart die Körperöffnungen identifikatorische Macht symbolisieren und entfalten, werden sie auch oft gebannt.
(3) Nicht zufällig gibt es das ikonografische Symbol des Affen, der sich den Mund, die Ohren und die Augen zuhält: nichts sprechen, nichts hören, nichts sehen. Er hält sich also fast alle Körperöffnungen, Wahrnehmungsorgane, vulgo: Löcher der Weltwahrnehmung und -erkundung, zu. Der deutsche Künstler Ottmar Hörl hat diese Gestiken auf Gartenzwerge übertragen. Aber nicht nur durch ihre Gestalt, sondern vor allem durch ihre Farben - schwarz, rot, gelb - sind sie auch ein Kommentar auf deutsche Befindlichkeiten, auf Ignoranz, auf Nicht- Hinsehen, auf Gleichgültigkeit. Aber sowohl die Affen wie die Zwerge klammern den vierten Gesichtssinn, das Riechen, aus, obwohl er, wie neuere kommunikationstheoretische Untersuchungen nahelegen, wahrscheinlich der einflussreichste Wahrnehmungssinn überhaupt ist. Hier in der Ausstellung gibt es als Wandinstallation die keramischen Nasenlöcher von Christine Lottner, mal mit Haaren, mal mit blutig geschlagener Nase, gewissermaßen eine Wirtshausnase.
(4) Und das Kussmund- Logo der Stadt Bonn um die Jahrtausendwende passt da ganz gut in den Kontext erotisch aufgeladener Körperöffnungen.
(5)In Rom befindet sich ein 2000 Jahre altes, antikes scheibenförmiges Relief, die berühmte Bocca della verità, eine Dämonenmaske mit offenem Mund, welches an der linken Wandseite der Säulenvorhalle der Kirche Santa Maria in Cosmedin angebracht ist. Einer mittelalterlichen Legende nach verliert jeder seine Hand, der sie in den Mund der Maske legt und dabei nicht die Wahrheit sagt. Vergleichbar zur Bocca della verità ist das Höllentor im manieristischen Naturpark Bormazo, der zu der kleinen mittelitalienischen Gemeinde Viterbo ca. 80 km nördlich von Rom gehört. In diesen auch Rachen des Orkus genannten höhlenartigen Raum kann man hinabsteigen.
Die Körperöffnungen sind für den Menschen also ebenso konstitutiv wie die inneren Organe und das Skelett. Schon daran können Sie sehen, dass Löcher für die Welt konstitutiv sind. Es gibt, phänomenologisch gesprochen, kaum Bereiche, in denen Löcher nicht eine Rolle spielen.
(6)Ob in der Architektur oder dem Design, der Bildenden Kunst oder der Fotografie, ob in der Geologie oder der Archäologie, ob in der Mathematik oder der Astronomie, ob in der Botanik oder der Kriminologie, ob in den digitalen Anwendungen der Com-putertechnologien und den technischen Halbzeugen der Metallverarbeitung, ob in der Mode oder der Bürokratie, der Verkehrsplanung und der Natur, ob in der Politik und Wirtschaft, ob im Bergbau, im Sport oder beim Eisangeln: Löcher begegnen uns überall.
(7)Erkenntnistheoretisch ist ein Loch in der Regel eine runde Entität, die sich durch ihre äußere Begrenzung, also ihre Peripherie, nicht durch ihr Zentrum definiert. Gerade dadurch aber verweisen Löcher immer auf ihre Begrenzung und ihre Ränder: sie sind im eigentlichen Sinne des Wortes substanzlos. Formal betrachtet haben Löcher unabhängig von ihrer Form immer eine geschlossene Kontur, die ein Nichts, das Loch eben, begrenzt. Aber im Gegensatz zu runden, ovalen, eckigen oder amorphen Löchern durchstoßen Ritzen und Spalten, Kerben und Nuten ihr Material nicht. Um als Loch zu existieren, braucht es immer umgebende, begrenzende Materie. Insofern sind auch alle Ringe Löcher. Das Loch und die Umgebung des Loches sind symbiotisch verbunden: Materie und Nicht- Materie, Stoffliches und Unstoffliches. Löcher ermöglichen Durchblicke, Einblicke, Ausblicke. Insofern transzendieren sie sich selbst. Sie markieren zugleich Grenzen und Entgrenzung und gehören eher der Sphäre des Immateriellen als des Materiellen an. Löcher kommen in allen Bereichen des Lebens vor, werden aber immer als Nichts, als Leere begriffen, haben also keine phänomenologische Objekt- Prominenz; es sei denn, man macht daraus eine Lochphilosophie wie die Luftlehrerin Michaela Peter, die dunkle Filzobjekte als depressive Löcher gestaltet hat.
In einem fiktiven internationalen Wettbewerb der Löcher - lassen Sie uns ihn Lochiade nennen - gäbe es vielfältige Disziplinen. Es gäbe statische und dynamische Löcher; zweidimensionale, dreidimensionale und vierdimensionale Löcher. Es gäbe pulsierende, vibrierende und expandierende Löcher. Es gäbe exakte, präzise und ausfransende, mithin ungefähre Löcher. Es gäbe ordinäre, prekäre und erotische Löcher ebenso wie asketische, militärische und vegetabile Löcher. Es gäbe natürliche und künstliche Löcher, banale und künstlerische, ordinäre und vornehme Löcher. Bei der Siegerehrung eines solchen Wettbewerbs würden alle Siegerlöcher auf dem Treppchen in bodenlosen Löchern versinken, inklusive der Laudatoren.
(8)Aber ganz real im Hier und Jetzt gibt es Bohrlöcher, Haushaltslöcher, Sommerlöcher, Knopflöcher, Mottenlöcher, Rattenlöcher, Spundlöcher und Sandlöcher, Strumpflöcher, Sparstrumpflöcher, Astlöcher, Luftlöcher und Fensterlöcher, Schalllöcher und Funklöcher; es gibt Schlüssellöcher und Schlüssellocherlebnisse, nicht zuletzt bei Keuschheitsgürteln. Schlüssel im Übrigen müssen zu ihren Schlössern passen. Noch immer haben die Schlüssel Löcher bzw. Ringe als Schlüsselkopf: ein Verweis darauf, dass sie früher zuhauf an einem Schlüsselring baumelten. Heute allerdings kommen Schlüssel und zumal Schlüsselringe zunehmend aus der Mode. Immer mehr werden Schlüssel durch Chipkarten ersetzt, z.B. bei Hoteltüren oder Unternehmens-eingängen. Zu Zeiten der DDR erlangte ein Funkloch hinter Dresden eine gewisse Prominenz, denn in dieser Gegend konnte man deshalb kein Westfernsehen empfangen. Man nannte diesen Ort deshalb Das Tal der Ahnungslosen.
Weitere Löcher und Lochcharaktere: es gibt schwarze Löcher, Lochkarten, Lochstreifen, Lochbleche, es gab früher Lochkameras, Bajonettverschlüsse und Trommelrevolver; es gibt Lochsägen, Lochstanzen und Lochstickereien. Bereits seit der Antike kennen wir die Tonlöcher der Flöten. Und es gibt zahlreiche Ringe, die in gewisser Weise ja auch Löcher sind: Eheringe, Beißringe, Schlüsselringe, Turnringe, Hulahoop- Reifen, Schwimmringe, Faßreifen und mehr.
Zivilisationsgenetisch sagt es viel aus, wie wir Löcher verschließen: mit Korken oder Kronkorken, mit Armaturen und Schraubverschlüssen, mit Stöpseln, Ventilen und Flakonverschlüssen. Zum Abheben von Kronkorken dienen Flaschenöffner; auch diese haben eine Lochform. Dabei bedeutet jede Form von Abdichten, dass wir uns der Flüchtigkeit jener Essenzen, die solcherart abgeschottet, eingesperrt und portioniert werden, bewußt sind: vom Öl und Benzin über das Leitungs- und Brauchwasser bis zum flüchtigen Parfüm.
Abdichten muß man ja auch alle aufblasbaren Gegenstände, von Luftballons über Luftmatratzen bis zu Zeppelinen. Diese luftigen Beispiele von Löchern verweisen aufs Schönste auf den Ort hier, das Luftkunstmuseum. Im Übrigen haben hier in der Ausstellung Alexander Lauer und Michael Schrattenthaler Luftballons unsichtbar hinter einer Wand installiert, von denen man nur die Einblas-öffnungen auf der Wand sieht. Die Ballons werden elektrisch auf- und abgeblasen und erzeugen so einen kakophonischen Chor.
Und Löcher werden beseitigt: zugespachtelt und aufgefüllt, zugeschüttet und betoniert. Viskose Substanzen verschließen die Löcher, psychoanalytisch gesprochen: sie heilen sie. Löcher sind insofern immer Verletzungen der Materie, sei sie belebt oder unbelebt.
Auch Wunden sind ja Verletzungen, von Schusslöchern über Hundebisse bis zu Schnittwunden, die heilen müssen.
(9)Und wenn wir schon bei der Psychoanalyse sind: man kann sich über Löcher freuen oder ärgern. Freuen etwa über Donuts, Lochkrapfen oder Napfkuchen, über einen freigeräumten Abfluß, über das sich wieder schließende Ozonloch oder eine heilende Wunde. Ärgern zum Beispiel über Schlaglöcher in der Fahrbahn, über Schlamm-löcher und Pfützen, über Motten- und Brandlöcher, über Strumpflöcher und Budget-löcher, über ein Loch im Zahn. Auch einen solchen Zahn mit Loch kann man hier in der Ausstellung sehen.
Für die Bedeutung eines Phänomens ist es zudem immer lohnend, zu schauen, wie es in der Sprache, in Begriffen, Redewendungen und Metaphern Verwendung findet. Wobei schon das geschriebene Wort Loch selbstevident ist, denn hat es nicht als mittleren Buchstaben ein solches?
Nicht gerade wenige Verben, also Tätigkeitswörter, haben mit Löchern zu tun. Man kann nageln, bohren, perforieren, man kann stemmen, tackern, lochen und anzwecken, meißeln und schrauben, man kann spähen, kiebitzen und durchblicken.
Man kann Löcher in die Luft starren, auf dem letzten Loch pfeifen oder eingelocht werden. Man kann ein Loch zurückstecken oder in ein Depressionsloch fallen; man kann ein Loch aufmachen, um ein anderes zu schließen; man kann jemanden ein Loch in den Bauch fragen, ein Loch im Kopf haben oder in ein bodenloses Loch fallen. Manche haben bohrende Blicke. Dünnbrettbohrer bohren wohl eher kleine Löcher. Nach einem showdown im Wildwestfilm hörte man öfters die Formulierung: Er hat ihn durchlöchert wie ein Sieb. Und hieß nicht weiland ein Schunkellied ziemlich sinnfrei Ein Loch ist im Eimer, Karl- Otto, ein Loch? Immerhin bezog sich dieser Ohrwurm auf ein altes Kinderlied. Loch Ness ist einfach ein schottischer See und hat mit Löchern eher wenig zu tun. Es scheint allerdings lediglich phonetischen Schwierigkeiten geschuldet zu sein, wenn Japaner beim Schachspiel statt Rochade immer Lochade sagen. Und als ich mit meinem damals fünfjährigen Sohn das erste Mal am Meer war und er, mit Eimer und Schäufelchen am Strand stehend, die Unendlichkeit des Wasserhorizontes erblickte, machte er sich diese neue Erfahrung dadurch kommensurabel, dass er mir sagte: Papa, wir machen erst mal ein Loch.
(10)Kinder bauen gerne Sandburgen mit eingedrückten Bahnen und Löchern, um Murmeln rollen zu lassen. Und auch aus Holz gibt es solche Murmelroll- Spielburgen.
(11)Weitere Lochspiele für Kinder, etwa das Spiel Wurm im Käse, verweisen auf ähnliche Beispiele in der Ausstellung, etwa Loch- Projekte von und mit Kindern, man könnte sagen, Mitmachlöcher, z.B. einen großen Holzwürfel, in den man mit einer Bohrmaschine von innen und aussen Löcher bohren kann. Am Enbde wird der Kubus aussehen wie ein Schweizer Käse. Auch im medizinischen Bereich, vor allem in der Rehabilitation von Schlaganfall- Patienten, werden Lochbrett- Spielbretter eingesetzt. In die Löcher setzen die Patienten Steck- Spielsteine ein: das trainiert die Grobmotorik, die Feinmotorik und die Hirnleistung. Auch Fädelbretter mit bunten Schnüren haben sich da bewährt. Selbst das Lochspiel Halma bekommt in diesem Zusammenhang eine ernstere Note. Hier handelt es sich also gewissermaßen um therapeutische Löcher.
Ich habe verschiedene Disziplinen und Gegenstandsfelder erwähnt, in denen Löcher vorkommen. Im Folgenden wollen wir einen näheren Blick darauf werfen.
(12)Beginnen wir mit der Kunst. Neben dem bereits erwähnten Bild von Gustave Courbet sind es im 20. Jahrhundert vor allem die abstrakten Skulpturen von Henry Moore, die oft mit Öffnungen und Löchern argumentieren. Volumen und Hohlformen treten in seinen Skulpturen in Beziehung zueinander. Dabei werden Einflüsse archaischer und primitiver Kunst deutlich. So zeigen manche afrikanische Holzskulpturen vergleich-bare Öffnungen; - bis hin zur sogenannten Airport Art.
(13)Auch von Max Bill gibt es ähnliche abstrakte Skulpturen, ebenso von Karl Hartung, Alexander Archipenko und Naum Gabo. Übereinstimmend charakterisiert diese Plastiken, dass sie die Leere in einer dialektischen Beziehung zum Volumen thematisieren: das mag durchaus eine existentialistische Erfahrung spiegeln, die im Gefolge der gravierenden Mentalitäts-erschütterungen im Kontext des Zweiten Weltkrieges noch virulent waren. Rodin behauptete apodiktisch: Skulptur ist die Kunst der Buckel und Löcher. Constantin Brancusi verneinte die Löcher, Henry Moore bejahte sie.
(14)Und die Schlitze, man kann auch sagen, Leinwandverletzungen in den Bildern von Lucio Fontana aus den 1950er Jahren sind ja schließlich auch Löcher. Die kunst-theoretische Bedeutung dieser Bilder besteht darin, dass Fontana erstmals die plane Leinwand durch solche Eingriffe dreidimensional verräumlicht hat. Vergleichbar sind dazu die Nagelbilder von Guenther Uecker, denn auch deren Bedingung ihrer Möglichkeit sind Löcher.
Eine jüngere Löcherskulptur stammt von dem Amerikaner Jonathan Borowsky. Er installierte 1999 in Berlin seine Plastik Molecule Man, drei beieinander stehende 15 m hohe scherenschnittartige, total durchlöcherte Menschen. Die Löcher, so Borowsky, symbolisieren die Moleküle, aus denen alles Leben besteht.
In literarischen Schilderungen des 19. Jahrhunderts kam des Öfteren ein Ofenloch vor, in das das Ofenrohr mündete. Auch in manchen Interieurbildern von Carl Spitzweg kann man dies sehen.
Ich habe die Flöten und Pfeifen mit ihren Tonlöchern erwähnt. Bereits in der Jung-steinzeit entstand die Grifflochflöte und die Panflöte. Die heutige ausgereifte Klappenmechanik der Flöten und Rohrblattinstrumente sowie der Ventile bei Blech-Blasinstrumenten entwickelte sich allerdings erst im 19. Jahrhundert. Auch die Korpusse von Saiteninstrumenten - Geigen, Celli, Bratschen, Gitarren – haben aus akustischen Gründen meist C- förmige oder geschweifte Löcher.
(15)Der Fotokünstler Man Ray hat ein Modell als Rückenakt fotografiert und auf beiden Seiten der Wirbelsäule die geschweiften Akustiköffnungen eines Cellos in den Rücken hineincollagiert. Die Wirkung ist verblüffend: wir assozieren mit dem Frauenkörper plötzlich ein Instrument. Der japanische Fotograf Nobuyoshi Araki hat den Assoziationskontext Frauenkörper und Löcher voyeuristisch intensiviert: in seinem Fotobuch Tokyo Lucky Hole hat er die Schönheiten und Obsessionen weiblicher Sexualität fokussiert. Von hier aus ist es nur ein kleiner Schritt zu den sogenannten glory holes in einschlägigen Etablissements mit Wänden, die Löcher in Hüfthöhe aufweisen, die am wenigsten der verbalen Kommunikation dienen dürften. Auch in der Ausstellung hier gibt es sinnliche Löcher zum Fühlen und Anfassen von Michaela Peter.
Aber wir wollen uns ja nicht in schwülen Beispielen verrennen. Deswegen gehen wir zurück zur Askese.
(16)Die motivlose, reinweiße Postkarte mit ausgestanztem Loch der japanischen Konzept- Künstlerin Yoko Ono thematisiert die Begrenztheit jedweden Durchblicks: und dies durchaus im doppelten Sinne des Wortes. Man hält sie vors Auge und erblickt den Himmel,also die Unendlichkeit, als Begrenzung und Entgrenzung. Ebenso Konzeptkunst war der Vertikale Erdkilometer des kürzlich verstorbenen amerikanischen Künstlers Walter de Maria. Er ließ anlässlich der Kasseler Ausstellung documenta 6 (1977) auf dem innerstädtischen Friedrichsplatz ein ein Kilometer tiefes Loch bohren. In dieses Loch steckte er tausend, jeweis einen Meter lange, massive Messingstäbe von 5 cm Durchmesser zu einem Kilometer zusammen. Dann wurde das Loch mit einem Metalldeckel verschlossen. Von dem Kunstwerk konnte man also nur diese Kappe sehen: man musste das Kunstwerk gewissermaßen im Kopf selbst realisieren.
(17)Auch der Lichtkünstler James Turrell arbeitet mit Löchern. Sein größtes Licht- Kunstwerk hat er in einem erloschenen Vulkankrater in der Wüste von Arizona nahe bei Flaggstaff, den er 1974 kaufte, realisiert. Turrell nannte den Krater Roden Crater. Es wurde seine bekannteste und ambitionierteste Anlage. Er verwandelte den Vulkankegel durch Einbau unterirdischer Räume, Stollen und Schächte in ein Licht- Observatorium, welches dem Betrachter erlauben soll, den Himmel und seine Phänomene, Licht, Sonne und Sterne in einer einzigartigen Weise zu erfahren.
(18)Überhaupt sind ja Vulkane Löcher der Erdkruste. Bei Erdbeben entstehen Risse und Löcher: die Erde tut sich auf, mit meist gravierenden Folgen. Auch den Trichter eines Tornados, einer Windhose also, mag man als Loch begreifen. Und in manchen Gewässern gibt es gefährliche Wasserstrudel, die einen nach unten ziehen können. Wenn Materialien und Stoffe porös, löchrig, angefressen werden, ob von Motten oder von der Zeit selbst, dann sind auch dies Löcher.
Löcher also als Verletzung der Materie; - sie perforieren Intaktheiten. Manchmal aber auch Gewissheiten. So gibt es Löcher, visuelle wie intellektuelle, in der Wahrnehmung und im Wissen. So weist etwa das Wissen über den Stammbaum des Menschen bis heute gravierende Löcher auf. Das sind sozusagen argumentative Löcher. In der Natur kommen zahlreiche Erdlöcher als Tierbehausungen vor: Mauselöcher und Rattenlöcher, Kaninchenlöcher und Maulwurflöcher, Löcher für Murmeltiere und Erdmännchen. Im Grunde sind dies alles kleine Höhlen, die den Tieren Zuflucht und Sicherheit verheissen und bieten. Auch Bienenwaben sind eigentlich aneinandergereihte Löcher. Ebenso haben die Nistkästen Löcher zum Einschlüpfen der Vögel. Eine letzte Zuflucht war wohl auch das Erdloch, in dem man den entmachteten iranischen Diktator Saddam Hussein aufspürte.
(19)Spundwürmer graben, besser bohren ebenso Löcher in den Sand wie Regenwürmer in die Erde. Auch Kinder bohren für ihre Murmeln Löcher in ihre Sandburgen. Bäume haben Astlöcher und Holzwürmer tun sich gerne an bearbeitetem Holz, also an Möbeln, gütlich. Nur nebenbei sei bemerkt, dass es eine ganze Fälschungsindustrie für Holzwurmlöcher gibt: Patinafälschungen. Löcher in Stoffen, seien es Brand- oder Mottenlöcher, empfinden wir als Beschädigung, wenn auch jüngere Modeerschei-nungen damit kokettieren. Dorli Pfeiffer, die dritte der Amberger Luftlehrerinnen, hat für die Ausstellung Astlöcher fotografiert, Brandlöcher gemalt, und Lochmuster als Druckgrafiken realisiert.
(20)Kulturgeschichtlich weitergedacht, landen wir bei Baugruben und artesischen Brunnen, bei Fensterlöchern, aber auch bei Bombentrichtern. Tunnelbauwerke sind ebenfalls Löcher im Bereich des Verkehrs, ob für Eisenbahnen oder den Autoverkehr. In langen Tunneln, etwa unter den Alpen hindurch oder unter dem Ärmelkanal, die ja künstlich belüftet werden müssen, bekommt so mancher Benutzer Beklemmungen, zu schweigen von den gravierenden Unfällen mit teilweise hunderten von Toten, die sich immer wieder in solchen Tunneln ereignen.
(21)Welchen Effekt solche Untertunnelungen haben können, wurde durch den Einsturz des Kölner Stadtarchivs drastisch deutlich. Und bei der Neubebauung des Pots-damer Platzes in Berlin nach der Wende war die geflutete Baugrube so groß, dass in, beziehungsweise auf ihr internationales Seerecht galt. Auch der Leiter dieses schönen Luftkunstmuseums hat eine Affinität zu Baugruben, also Löchern. Er propagiert und plant in Etsdorf in der Oberpfalz eine Glyptothek nach griechischem Vorbild, allerdings aus vorgefertigten Betonteilen: Antiken- Revival, regionale Hybris und globalisierter Bezug auf die Themen Fremde und Asyl, aber eben auch ein Symbol demokratischer Gemeinschaft. In jedem Fall wird dieser Tempel eine Gründung, vulgo Baugrube, also ein Loch benötigen.
Der Bergbau wäre ohne oft kilometertiefe Löcher nicht denkbar, während wir beim Strassenbelag auf die Löcher im Asphalt gerne verzichten können. Wobei Fahrbahnschäden nicht nur durch Frost, sondern auch durch extreme Hitze entstehen können. Solche sogenannten blow up – Schäden gab es im Juni in Deutschland zahlreich. Im positiven Sinn sind im Straßenverkehr weitere Löcher wichtig, jene nämlich, in die Laternen und Poller eingeköchert werden.
(22)In der Archäologie kennen wir Löcher in Pyramiden, die der Belüftung dienten und auch die antiken Steinsärge hatten wie eine Badewanne im Boden ein Loch. Wasserbecken haben in der Regel ebenfalls Abflüsse, im Wohnbereich von Bad und Küche, aber auch bei öffentlichen Wasseranlagen, schon wegen Reinigungsgründen. Jeder Kannenausguss, jede Tülle ist ein Loch, von der Kaffee- bis zur Gießkanne. Fließen, strömen, tröpfeln, einschenken: was da durch die Löcher fließt, abfließt, die liquiden Flüssigkeiten, werden durch die Löcher kanalisiert. Trichter, Einfüllstutzen; - vom Tanken bis zur Betonmischmaschine. Jede Leitung für gasförmige oder flüssige Substanzen kann man als ein extrem in die Länge gezogenes Loch begreifen: von der unterirdischen Bierleitung zum Münchner Hofbräuhaus über Wasserleitungen bis zu den Öl- Pipelines. Bei Leitungsverstopfungen wird der Durchlass schmerzlich vermisst und die Pipeline- und Ölbohrloch- Sprengungen im Kuwait- Krieg haben wir alle noch in der Erinnerung.
(23)Auch Kanülen, Spritzen und Strohhalme sind umkleidete Löcher. Einer der beeindruckendsten Experimental- Schwarzweißfilme der frühen 1930er Jahre zeigt einen Abfluss, in den Wasser weggurgelt. Die rotierende Bewegung dieses Abfließens hat magische Qualitäten. Gurgelnde Abflüsse, bodenlose Löcher: in nicht wenigen surrealistischen Filmen der 1920er/1930er Jahre, etwa bei Luis Bunuel, werden sie als Metapher des verrinnnenden Lebens selbst verstanden, als Symbol auch ständiger Veränderung im Sinne des altgriechischen panta rei.
Die Potenzierung der gurgelnden Abflüsse sind dann jene kommunizierenden Röhren, die das Zirkulationssystem des Blutes ebenso wie bestimmte physikalische Versuchsanordnungen charakterisieren.
Und vergessen wir nicht: ein wesentlicher Teil unserer Zivilisation und Urbanität beruht auf Löchern, Abflüssen und Wartungsdeckeln. Die Kanalisation nämlich. Ohne diese Löcher und Leitungen wären wir zivilisationsgenetisch nach wie vor im Mittelalter gefangen und befangen.
(24)Noch grundlegender für unsere Zivilisation ist wohl das Rad, ursprünglich Stein- oder Holzscheiben für Mühlsteine und Ochsenkarren. Die Räder allerdings bedürfen einer Achse bzw. Nabe, also einer Lochverbindung. Wenn man die Scheiben polstert, hat man Reifen. Noch die Vinylschallplatten und CDs mit ihrer zentrierten Achsenöffnung partizipieren gewissermaßen an der Erfindung des Rades.
(25)In der modernen Architektur ist Louis Kahn wahrscheinlich derjenige Architekt, der am virtuosesten mit runden Öffnungen in Gebäudefassaden umzugehen verstand. Vor allem seinen Bauten im Regierungsviertel von Dakka in Bangladesh huldigen einer geometrisch- dekorativen Bauästhetik, die in der Folge dann Mario Botta beeinflusste. Und selbst noch das Berliner Bundeskanzleramt von Axel Schultes und Charlotte Frank huldigt der offenen Lochform. Eine ebenso kraftvoll- plastische Baukörperbehandlung und dynamische Formen finden sich beim 1921 fertiggstellten Einsteinturm, einem astrophysikalischem Laboratorium bei Potsdam, des expressionistischen Architekten Erich Mendelsohn. Auch hier sind die Fensteröffnungen mit ihren tiefen Gewänden als Löcher aufgefasst.
(26)Die eher nüchternen Lochreihen des italienischen Architekten Aldo Rossi bei seinem Urnenmonument auf dem Friedhof San Cataldo bei Modena zeigen eine deutliche Verwandtschaft zum Rathaus der faschistischen Stadt Eur, die auf Pläne von Benito Mussolini zurückgeht.
(27)Der sich in solchen geometrischen Grundformen ausdrückende Archaismus geht auf antike Vorbilder zurück. So war das antike Pantheon in Rom, das unter Kaiser Hadrian von 118 – 128 n.Chr. errichtet wurde, mit seinem zentralen Lichtloch in der 45 m hohen Kuppel ebenso Vorbild für das Pariser Pantheon wie für die Saint Pauls- Kathedrale in London von Christopher Wren.
(28)Die gläsernen Rosettenfenster der gotischen Kathedralen in Frankreich, etwa in Chatres, Reims oder Paris, huldigen mit ihren filigranen Maßwerkfüllungen der Mathematik und dem goldenen Schnitt, sind also nicht nur sakral, sondern auch rational motiviert. Diese diaphanen Kathedralwände sind im Grunde eben auch Lochfassaden.
(29)Ebenso sind dies die gotischen Fischblasenmotive und die kreisrunden oder ovalen sogenannten Ochsenaugenfenster in der Architektur, die es in der Gotik, vor allem aber dann im Barock und im Jugendstil gegeben hat.
(30)In der Mathematik ist der Kreis die geometrische Grundform, die am ehesten mit einem Loch assoziiert wird, obwohl natürlich auch quadratische, rautenförmige und ovale Löcher vorkommen, die weiteren geometrischen Formen entsprechen. Verschiedene Schablonen, zum Beispiel für Architekten und Ingenieure, bieten für technische Zeichnungen präzise Löcher in diversen Größen. Es geht hier um Normierungen, auch durchaus um einklagbare Details.
(31)Ein Untergebiet der Mathematik ist die Wahrscheinlichkeitstheorie, die sogenannte Stochastik. Bei vielen Spielen mit Kugeln und eben auch Löchern spielt sie eine Rolle, so etwa beim Galtonbrett. Dieses besteht aus einer uregelmäßigen Form von Hindernissen, an denen von oben eingeworfene Kugeln jeweils nach rechts oder links abprallen können. Nach dem Passieren der Hindernisse werden die Kugeln in Fächern aufgefangen, um dort gezählt zu werden. Bei größeren Mengen entsteht immer eine glockenförmige, sogenannte Gaußsche Normalverteilung, benannt nach dem berühmten Mathematiker Johann Friedrich Gauß.
(32)Auch viele Spielautomaten, etwa jene des populären Pachinko- Spiels in Japan, beruhen auf Hindernissen für fallende Kugeln. Jeder Spieler benutzt hunderte bis tausende kleiner Metallkugeln. Der Lärm der abertausende fallenden Kugeln in den großen Pachinko- Spielhallen ist ohrenbetäubend. Fällt eine Kugel in eines der Speziallöcher, ergeben sich größere Gewinnchancen. 16 Millionen Japaner spielen dieses Spiel regelmäßig und geben dafür pro Jahr 250 Milliarden Euro aus. Die etwa 16.000 Patchinko- Spielhallen werden zu 70 % von Koreanern geführt. Aus den Einnahmen fließen jährlich etwa 1,2 Milliarden Euro nach Nordkorea.
(33)In der Astronomie gibt es die sogenannten schwarzen Löcher , Gebiete innerhalb des Weltraums, in denen die normalen physikalischen Gesetze außer Kraft gesetzt sind. Die Dimensionen von Zeit und Raum fallen ineinander, implodieren gewissermaßen, sodass alle Gegenstände, die in den Einflussbereich eines schwarzen Lochs geraten, verschwinden. Ein schwarzes Loch ist ein astronomisches Objekt, in dessen Nähe die Gravitation so extrem stark ist, dass aus einem inneren Raumbereich mit hochgradig verzerrter Raumzeit nichts nach außen gelangen kann, auch kein Lichtsignal. Insofern kann man von einem Loch im Gefüge des Raumes sprechen, das auch Singularität genannt wird. Die Singularität wird von einem Raumzeitbereich umgeben, aus dem weder Materie noch Information nach außen gelangen kann. Die Grenze dieses Bereichs ist der sogenannte Ereignishorizont.
Noch exotischer mutet die 1935 von Einstein gemeinsam mit Nathan Rosen gemachte Entdeckung an, dass die Relativitätstheorie Brücken in der Raumzeit zulässt, - damals Einstein- Rosen- Brücken genannt - die wir heute als Wurmlöcher bezeichnen. Dabei handelt es sich um tunnelförmige durchquerbare Verbindungen zwischen zwei Galaxien oder zwei schwarzen Löchern. Nach dem Eindringen in ein solches Wurmloch wäre man mit einer Ge-schwindigkeit, die ein Tausendfaches der Lichtgeschwindigkeit beträgt, z.B. in kurzer Zeit in der Andromeda- Galaxie. In der Science- Fiction- Literatur sind Wurmlöcher beliebte Möglichkeiten, unvorstellbare Entfernungen zu überbrücken. In der TV- Serie Star Treck bewegen sich die Raum-schiffe mit einem sogenannten Warp- Antrieb, der solche Entfernungen locher überbrücken kann. Dabei sind die physikalischen Annahmen, die einen solchen Antrieb in ferner Zukunft denkbar erscheinen lassen, durchaus plausibel und mit dem heutigen Wissen vereinbar.
(34)Von der Mathematik und Astronomie kommen wir zur Digitalisierung und den angewandten Computerwissenschaften. Lange vor der Digitalisierung mit ihren binären Codes 0 und 1 bzw. Strom oder Nichtstrom gab es die Lochkarten. Dabei handelt es sich um die ältesten maschinell lesbaren Datenträger in Kartenform. Ziffern werden durch einzelne Lochung, Buchstaben durch Lochkombinationen verschlüsselt. Lochkartenleser dienten als Eingabegerät bei EDV- Anlagen. Die Lochstreifen, auch Lochbänder genannt, sind ebenfalls maschinell lesbare Datenträger. Sie spielten nicht nur in der Datenverarbeitung und numerischen Steuerung eine Rolle, sondern werden, bzw. wurden auch zur Textspeicherung beim Fernschreiben genutzt.
(35)Noch 1976 habe ich mit einer Gruppe von Mitstudenten eine zwei Meter hohe Lochstreifen- Endlosschleife konfiguriert, mit der eine audiovisuelle Präsentation gesteuert wurde. Sie bestand aus acht Karrusell- Diaprojektoren, einem Tonband-gerät und einer Steuereinheit. Jeder der Projektoren konnte, gesteuert durch die Lochstreifenschleife, individuell mit beliebigen Zeitintervallen angesteuert werden. Wir entwickelten für diese Präsentation zudem ein eigenes Storyboard, um die Text-, Bild- und Zeitebenen diskursiv lesbar zu machen. Die Lochungen in der Kunststoff-schleife passierten per Hand mit einer Lochzange. Von heute aus gesehen ist dies ein geradezu archäologisches Projekt.
(36)Handlochung ist auch das Rückgrat buchstäblich jeder Verwaltung. Korrespon-denzen und Akten werden mit einem Locher gelocht, bei dem man unter-schiedliche Blattgrößen einstellen kann. Die Blätter von Ringbüchern oder die perforierten Abreißblätter der Kalender sind ebenso gelocht. Auch die Zug-, Omnibus- und Straßenbahnschaffner hatten früher Lochzangen zum Entwerten der Fahrkarten. Bis heute werden Pässe und Personalausweise durch Lochungen entwertet. Wird die Lochung zur seriellen Reihung, spricht man von Perforation. Diese ermöglicht kontrolliertes Abreißen bei Notizblöcken, Eintrittskarten oder Briefmarkenblöcken. In der Ausstellung hier wird auch eine Auswahl der Bürolocher- Sammlung von Alfred Stadlbauer präsentiert.
(37)Mit den Lochzangen für Ledergürtel nähern wir uns der Mode. Auch da sind der Löcher gar viele. Ganz pragmatische Löcher sind die Knopflöcher, ohne die Blusen und Hemden, Jacketts und Hosen kaum funktionieren würden. Auch die Hosenbeine und Ärmel selbst haben ja durchaus sinnvolle Öffnungen für unsere Extremitäten: verschließt man sie, landet man bei einer Zwangsjacke. Schnürschuhe würden ohne die Löcher für die Schnürsenkel kaum Halt am Fuß finden. Netzstrumpfhosen bestehen mehr oder weniger aus Löchern, die alles andere als blickdicht sein wollen. Löcher in der Kleidung sind eben nicht nur Ausweis von Armut und Mangel, sondern auch von Erotik, Verführung und sophistication.
(38)So hat zum Beispiel der französische Couturier Andre Courréges in den 1960er Jahren Etuikleider mit allerliebsten Löchern entworfen. Überhaupt gab es in jener Dekade, die ja euphorisch optimistisch war, eine Menge utopie-gesättigte space-ige Outfits mit vielen geometrisch exakten Löchern.
(39)Heute, im Kontext der Vintage- Mode, sind zerrissen und verschlissen wirkende Kleidungs-stücke, vor allem von jungen belgischen und englischen Modedesignern, angesagt und en vogue.
Mitte der 1980er Jahre reüssierte in Berlin eine Modeboutique mit dem Namen Durchbruch. Sie war als Baustelle inszeniert. Die hier angebotenen Pullover mit dekorativen Löchern kosteten ab 500 DM aufwärts. So war diese Mode ein im Bereich der Ästhetik bleibender Oberflächenkick und hat beileibe nicht jenes gesellschaftliche Protestpotential wie etwa die eingerissenen Jeans des Grunge- Looks der 1990er Jahre. Ähnlich wie bei der Punk- Mode gilt auch hier - und dies habe ich bereits 1986 mit großen Neonlettern auf die Fassade des Düsseldorfer Kunstpalastes gehämmert: Jede Revolution endet in der Boutique.
(40)Eine eher klassische Form des textilen Umgangs mit Löchern ist die sogenannte Lochstickerei, auch Madeirastickerei genannt. Sie besteht darin, runde, ovale oder blattförmige umstickte Löcher zu Mustern zu ordnen. Für das Häkeln und Stricken wie für den geknüpften Drahtzaun sind Löcher sozusagen die konstitutiven Maschen.
(41)Wobei es als eine neue Kunstform im öffentlichen Raum, das sogenannte Guerilla knitting, nmgibt, also das Umstricken von Pollern, Bänken, Skulpturen oder auch Bäumen. Auch Fußballnetze und Einkaufsnetze bestehen aus Maschen, also Löchern.
(42)Löcher als dekorative patterns, als Muster und Ornament wurden verstärkt im High-Tech- Stil der Endsiebziger Jahre verwendet. Lochbleche aus der primären Arbeits-welt hielten Einzug in die Lofts einer urbanen Klientel der Dinks, wie man damals sagte ( Dinks = double income, no kids): als Küchenfronten, Stuhloberflächen oder sogar Bodenbeläge. Zwar hatte schon 1938 der Schweizer Hans Coray mit seinem perforierten Stuhl Landi Furore gemacht, aber erst der 1974 auf den Markt gekomm-ene Lochstuhl Omstack wurde zum Renner: er ist der am meisten verkaufte Outdoor- Stuhl der Nachkriegszeit.
(43)Ein Lochstuhl ist auch der berühmte Traktorstuhl Mezzadro, den Achillle Castiglioni bereits 1957 entwarf. Auch der Radiophonograph von Achille und Pier Giacomo Castiglioni weist lochblechartige Oberflächen auf. Damals waren Lochblechstrukturen offenbar das ikonografische Leitmotiv für Fort-schrittlichkeit und Modernität. Auch das deutsche Unternehmen Braun hat damals etwa bei Lautsprecherfronten auf Lochblechanmutungen gesetzt.
Nicht wenige Alltagsprodukte, vor allem solche zum Streuen und Gießen, weisen Löcher auf: Zucker-, Salz- und Pfefferstreuer, Siebe, Gießkannen und Duschen. Immer geht es um das Dosieren, Portionieren und Verteilen.
(44)Lochplatten sind Platten mit gleichartigen Löchern in regelmäßigen Anordnungen, die durch Stanzen, Bohren oder Fräsen erzeugt werden. Es gibt Rundlöcher und recht-eckige Langlöcher oder solche mit runden Ecken, es gibt Rautenlöcher und Quadrat-löcher, Dreiecklöcher und Sechskantlöcher. Einschlägige Unternehmen stellen Lochplatten und Lochbleche in Großserien her: sie zählen zu den sogenannten Halbzeugen.
(45)Wobei sich bei den industriellen Lochblechen drei Aspekte kreuzen: Materialersparnis, Ästhetik und klimatische Durchlässigkeit. Löcher können also unterschiedliche Querschnitte haben. So gibt es auch gedrillte Löcher, etwa beim Lauf einer Pistole.
(46)Zu erwähnen sind auch die anzudübelnden Lochschienen, in die Träger eingeklinkt werden, die ihrerseits Regalbretter tragen.
(47)In den 1980er Jahren entwarf Matteo Thun die Leuchtenserie Stillight und eine Containerschrankserie für Bieffeplast, die Lochblechmuster mit Laser ausgestanzt ornamental verwenden. Besonders bei den Leuchten ergibt sich der Eindruck von beleuchteten Bauwerken mit seriellen Fensterreihen. Aber jene Lochblech- patterns sind auch als durchaus leicht erschreckte Reaktion auf jene Zweite Moderne der Elektronik, Digitalisierung, Mikroelektronik und Mikromechanik zu lesen, denen hier mit den tradierten Mitteln ästhetischer Oberflächengestaltung beizukommen versucht wurde. Insofern ist diese Re- Ornamentalisierung als Durchgangsphase hin zu einer digitalisierten Welt durchaus ein, wenn auch freundliches, Menetekel. Diese Art der Postmoderne und der Mikroarchitektur war der Vorschein ihrer eigenen Abstraktion.
(48)Und es soll nicht unerwähnt bleiben, dass für die erfolgreichsten Dübel der Welt - die übrigens so heißen wie ich - ebenso wie für die Bohrmaschinen von Black & Decker, Black & Decker, Black & Decker Löcher die primäre Geschäftsgrundlage sind. Das Verhältnis von Löchern und Bohren kann durchaus auch ein sehr spezielles sein. Mutti, Mutti, er hat gar nicht gebohrt flötete in einer TV- Werbung der 1960er Jahre ein Knäblein nach dem Zahnarztbesuch seiner beruhigten Mama zu.
Nun, auch unsere Luftkunst-, respektive Lochlehrerinnen haben die Bohrlöcher inspiriert. Sie haben, inspiriert von Baumärkten und Schreibwarengeschäften, Abziehpunkte unter dem ironischen Label Lochfix. Fertiglöcher konzipiert und herstellen lassen. Auf den kleinen, gerade einmal Din A6- großen Zellophan- Umschlägen lesen wir als Gebrauchsanweisung für die schwarzen Plepperles: statt Bohren – Lochen – Hämmern und bei den weißen Klebepunkten heißt es Loriot- mäßig: Lochfix Antiloch. zum Beseitigen ungewollter Löcher. Im Zellophantütchen ist dann noch vermerkt: Anwendungsbeispiele auf youtube unter LOCHFIX – FERTIGLÖCHER. www.luftmuseum-amberg.de. Karl Valentin hätte an diesen kleinen Multiples wohl seine helle Freude gehabt, zumal die Videoanimationen mit subversiven Spaß an den Absurditäten des Alltags diese Klebelöcher vorstellen: als problemlose Abdichtung eines Bohrlochs in der Wand ebenso wie als patientenfreundliche Abdeckung eines Lochs im Zahn. So müüsen wir das bereits zitierte Motto des 60er- Jahre- Knäbleins Mutti, Mutti, er hat gar nicht gebohrt wohl ummünzen in den Satz Mutti, Mutti, sie hat nur geklebt.
(49)Apropos Mutter: jede Mutter mit Gewinde für Metallschrauben ist eine Lochkon-struktion. Jedes Gewinde bis hin zu Glühbirnenfassungen ist ein Loch. Das Einzu-drehende muß dem Gewinde exakt entsprechen. Hier würde man mit der fuß-ballerischen Einsicht Das Runde muß ins Eckige wohl nicht weit kommen. Der Münchner Lichtdesigner Ingo Mauer hat mit der Wandleuchte Holonski einen durchaus ironischen Entwurf realisiert, da die Glühbirne eine holographische Projektion ist und die Fassung entsprechend nur aus einer offenen Fassung, also einem Loch besteht.
Wenn wir im Kontext der Medizin bleiben, dann gibt es seit Jahren eine boomende Lochtechnik: und zwar in der Augenmedizin. Bei Operationen von Star-Erkrankungen werden punktgenaue Korrekturen per Laser vorgenommen und auch bei partiellen Netzhautablösungen hat sich diese Technik bewährt: sie ist inzwischen Routine. Im Übrigen kommen punktgenaue Lasertechnologien auch beim Punktschweissen, -schneiden und –bohren zum Einsatz.
(50)Auch die optischen Geräte zur Verstärkung des Sehens - Brillen, Lorgnons, Monokel, Ferngläser, Fernrohre, Teleskope - sind im Grunde mit Linsen versehene Löcher. Selbst die historischen Geräte zum Verstärken des Hörens, die sogenannten Hörrohre, wie jene für das Sprechen, die Megaphone, sind im Grunde ummantelte Schalllöcher.
(51)Im Bereich aktueller High- Tech- Materialien reüssieren seit Jahrzehnten immer mehr löcherige Materialien wie Metallschwämme, Metallschäume oder technische Kera-mikverbindungen, die wie Schweizer Käse aussehen, aber auch an Vulkangesteine, Korallen oder Schwämme erinnern. Leichtigkeit und Materialersparnis sind die Hauptgründe für solche Entwicklungen.
(52)Wirtschaftlich gesprochen, sind Haushaltslöcher zwar misslich, aber alle Parteien akzeptieren sie offenbar entgegen anderslautender Verlautbarungen als notwendiges und unvermeidliches Übel. Apropos Haushaltslöcher: 1940 hatte man ganz andere Haushaltslöcher im Sinn. In diesem Jahr erfand der spätere Bundeskanzler Konrad Adenauer ein beleuchtetes Stopfei, um durchgescheuerte Kleidung auch bei kriegsbedingter Verdunkelung stopfen zu können. Allerdings wurde sein entsprechender Patentantrag abgelehnt. In der Gebrauchsanweisung dieses Bakelitgerätes hieß es kriegskompatibel: Die Stopfstellen werden sauberer und sehen besser aus. Sehr wichtig, weil Strümpfe und Kleider jetzt länger getragen werden müssen ….. Es ist vorwiegend aus deutschen Werkstoffen hergestellt …. Durch die Fertigung finden bei uns noch mehr fleissige Frauenhände im schönen Sudentengau Beschäftigung, ohne dass die heute für wichtige Zwecke notwendigen Arbeitsleistungen der Männer oder neue Werkzeuge beansprucht werden. Und so findet sich hier in der Ausstellung eine Präsentation sichtbarer und und unsichtbarer Sockenlöcher, die Christine Lottner ersonnen hat. In geradezu taxonomischen Objektkästen präsentiert sie über Halbkugeln gespannte Sockenlöcher: ein Pandämonium banaler memento mori- Objekte.
(53)Manche Länder haben bis heute Münzen mit Löchern; eine ferne Reminiszenz an jene Zeiten, als man sein Vermögen in Form solcher Münzen noch aufgefädelt an Schnüren um den Hals bei sich trug. Man kann ja alle Objekte mit Löchern auffädeln. Perlen, Steine, Muscheln, Kerne, Samenkörner. Dieses Auffädeln ist sicherlich eine der archaischsten Kulturtechniken überhaupt. Dabei sind und waren Lochmünzen viel häufiger in Gebrauch, als man so denkt: Spanien hat ein 25- Pesetenstück, Dänemark 1, 2, und 5- Kronenstücke, Japan 5- und 50- Yen-Münzen, Ägypten ein 25- Piaster- Stück und die Philippinen eine 5- Sentino- Münze. Norwegen, Frank-reich, Belgien, Griechenland, Ungarn, Tunesien, Libanon und China kommen hinzu. Selbst die Nazis hatten Lochmünzen.
(54)Eine Vorform der Münzen mit Löchern ist das sogenannte Steingeld auf der mikro-nesischen Insel Yap im Pazifik, das bis etwa 1930 noch im Gebrauch war. Es handelt sich um Steinscheiben von 10 cm bis 4 m Durchmesser, die bis zu 5 Tonnen wiegen können. Diese von den Einheimischen Rai genannten Scheiben kamen von der Insel Palau, die 400 km südwestlich von Yap liegt. Zum Transport wurden sie mit Löchern versehen, durch die man Holzstäbe steckte. Dieses Steingeld wurde aussschließlich von Männern benutzt, etwa zum Landkauf. Die angelehnten oder teilweise einge-grabenen Steine bleiben bei ihrer Veräußerung unbewegt, nur der Eigentümer wechselt. Stellen Sie sich einmal vor, das Geld würde immer da bleiben, wo es ursprünglich war. Das hieße, Ihre Geldbörse bliebe immer voll, nur dass der Besitzer gewechselt hat, die Scheinchen also nicht mehr Ihnen gehören. Das klingt schon sehr nach Eheberatung! Und die Parallelen zum nur noch virtuellem Geld im Internet sind schlagend.
(55)Auch das Schreiben und die Typografie sind lochaffin. Von den 26 Buchstaben des lateinischen Alphabetes - die sich durch Groß- und Kleinbuchstaben auf 52 ver-doppeln - weisen immerhin vierzehn Buchstaben Kreisformen auf, also Löcher. Und von den zehn Ziffern haben vier Kreisformen.
(56)Löcher gibt es auch im Bereich des Schmucks und des Sich- Schmückens. Das bis heute übliche Löcherstechen der Ohrläppchen minderjähriger Mädchen zum Zwecke späterer Ohrringe hat nicht nur modische, sondern auch autoagressive Züge. Das hat ja seine Tradition bis zu Naturvölkern wie den Aborigines in Australien oder Eingeborenen von Papua- Neuguinea. Denen wir uns im Übrigen mit dem Täto-wieren und dem Piercing der Augenbrauen, Nasenflügel, Lippen und Zungen wieder annähern. Auch das Tätowieren und Piercen benötigt Löcher. Man mag die Täto-wierungen als Graffiti des Körpers verstehen und die Graffiti als Tätowierungen der Gebäude. Piercen allerdings ist eine ebenso kryptopathologische Selbstverletzung wie das Hautritzen bis aufs Blut, welches seit Jahren in manchen Kreisen en vogue ist.
(57)Auch beim zeitgenössischen echen Schmuck spielen Lochformen manchmal eine große Rolle. So haben etwa für die Bodysign- Kollektion des Frankfurter Juweliers Jens Biegel mehrere Designer mit solchen Formen gearbeitet. Die Kollektion Gran Prix von Konstantin Grcic, der heute zu den renommiertesten Produktdesignern überhaupt gehört, variiert die Langlochform der Lochblech- Halbzeugindusrie bzw. der entsprechenden Meterware der Baumärkte. Die Kollektion Oyster von Saskia und Stefan Diez nutzt gelochte plane Goldscheiben, die durch präzises Wölben drei-dimensional werden, zum Hals- und Armschmuck verkettet und als Ring oder Ohrring zur Fassung einer runden Perle werden, die ohne weitere Fixierung sicher gehalten wird. Auch die Serie Leeloo des Schweizers Alfredo Häberli basiert auf Löchern, in diesem Fall auf der Form einer ausbalancierten gedrehten „8“. Die Form ist eine Remineszenz an die Anfänge technischer Industrialisierung, als Eisenwalz-werke geschmiedete und gehämmerte entsprechende Doppellaschen für Anker-Ketten oder Ruderpinnen herstellten. Diese Schmucksets atmen den Geist ver-feinerter Reduktion. Alle diese Entwürfe zeigen, dass in der Askese der Luxus liegen kann. Formale Logik verbindet sich mit eleganter Strenge und sinnlicher Disziplin.
(58)Eine solche Disziplin ist auch beim exklusivsten Sport der Welt gefordert: Beim Golfspielen sind Löcher eine sehr ernste Angelegenheit, selbst noch bei seiner kleinbürgerlichen Variante, dem Minigolf. Beim Golf unterscheidet man Lochspiel und Zahlspiel. Während beim Zahlspiel die Gesamtzahl der benötigten Schläge pro Runde gezählt wird, gewinnt beim Lochspiel derjenige, der für ein Loch weniger Schläge benötigt. Und auch beim Billard geht es ums einputten.
Wenn man allerdings eingelocht wird, ist das nicht gerade ein Spiel. Hier zeigt sich ethymologisch erneut die Kraft und Reichhaltigkeit der bildhaften Alltagssprache. Wenn man in ein Loch fällt, hat man oft kaum eine Chance, zu entkommen. Im Gefängnis mag eine Kaution hilfreich sein: Lochverschonung. Andererseits ist Einsitzen ja durchaus günstig, denn Kunst und Logis sind frei. Sicherlich ist der Radius der Ausflüge etwas begrenzt. Dafür können Sie nicht wegen Eigenbedarf gekündigt werden, es sei denn wegen guter Führung.
Meine Damen und Herren, damit bin ich am Ende dieser kleinen Phänomenologie der Öffnungen angelangt. Nach einer hoffentlich nicht löcherigen Diskussion, die manche offenen Löcher und bohrende Fragen schließen mag, mögen Sie dann gesittet dieses gastliche Museum durch ein Schlupfloch, vulgo: die Eingangstür verlassen; dort also, wo - wie ein Bonmot sagt - der Zimmermann das Loch gelassen hat.

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